10 Fähigkeiten, die du in der Corona-Krise entwickeln kannst

10 Fähigkeiten, die du in der Corona-Krise entwickeln kannst

Viele von uns verbringen gerade viel Zeit zuhause. Für die meisten von uns ist das ein ungewohnter Zustand, der einige vor große Schwierigkeiten stellt: Was tun mit der vielen Zeit, wenn die Arten von Zerstreuung, die wir gewohnt sind zu nutzen, auf einmal wegfallen? Plötzlich werden wir zurückgeworfen auf einen Zustand, der uns mit unserer bloßen Existenz und unserer Verletzlichkeit konfrontiert. So langsam dämmert es uns, dass wir das Leben nicht kontrollieren können und nie kontrollieren konnten.

Es gibt jetzt mindestens drei Möglichkeiten des Umgangs mit der Situation:

  • Wir tun so, als würde unser Leben so weiterlaufen wie bisher. (in diesen Tagen schwer möglich)
  • Wir verzweifeln daran, dass unser Leben jetzt so anders aussieht und wir es nicht so weiterleben können, wie wir es geplant hatten. (nicht besonders attraktiv)
  • Wir finden einen Weg, um mit dieser ganz besonderen Zeit sein zu können – ja, vielleicht sogar etwas aus ihr zu machen. (nicht ganz leicht, aber sinnvoll)

Wenn du dich für die dritte Möglichkeit entschieden hast, dann findest du hier eine Reihe von Fähigkeiten, die du gerade jetzt – in Zeiten von Quarantäne und Homeoffice – besonders gut lernen kannst. Und das beste daran ist: Du bekommst sie quasi frei Haus geliefert und musst nichts dafür tun.

  1. Anfängergeist kultivieren
    Wenn jeder Tag dem anderen gleicht, gibt es wenig Abwechslung. Man ist immer in der gleichen Wohnung – mit sich oder mit den gleichen Menschen. In diesen Zeiten lässt sich der Anfängergeist sehr gut trainieren. Er ist ein wichtiges Element des Achtsamkeitstrainings: Statt am Morgen aufzustehen und zu wissen, wie es sich anfühlen wird noch einen weiteren Tag in der Wohnung zu verbringen, lautet die Einladung nun, in jedem Moment immer wieder neu zu erforschen, wie es wirklich ist: Wie schmeckt der Kaffee jetzt? Wie fühlt sich die Bettwäsche jetzt an? Was siehst du jetzt, wenn du aus dem Fenster schaust? Die Veränderungen, denen wir begegnen, sind oft nur graduell, aber sie sind da.

  2. Flexibilität und Gelassenheit erfahren
    Leere Regale, wo sich vormals Konserven, Nudeln und Toilettenpapier stapelten, sind in diesen Zeiten zum Alltag geworden. Doch was machen wir nun, wenn es keine Spaghetti mehr gibt? Der Mangel im Außen macht uns kreativer und flexibler. Auch ich dachte am Anfang, dass diese ganz bestimmte Tomatensauce, die ich so gerne esse, ausschließlich mit der Nudelvariante Spaghetti so gut schmeckt. Woher dieser Gedanken kommt? In Italien habe ich gelernt, dass es für jede Sauce eine bestimmte, passende Nudelform gibt. An diese Regeln habe ich mich zwar nie streng gehalten, aber für ein paar Gerichte habe ich aus einer geschmacklichen Gewohnheit heraus immer die gleiche Nudelform verwendet.
    Nach 14 Tagen Quarantäne kann ich sagen: Ich habe mich geirrt. Ich bin flexibler geworden und habe meine Gewohnheiten hinterfragt. Freiwillig hätte ich das nicht gemacht. Falls du dir noch nie Gedanken über den geschmacklichen Unterschied von Nudelvarianten gemacht hast, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt dafür: Den Anfängergeist kultivieren.
    Doch was machen wir, wenn der Vorrat an Nudeln irgendwann ganz aufgebraucht sein wird? Wir können neu überlegen, womit wir unseren Bedarf an Kohlenhydraten decken können. Vielleicht ist es Couscous, Bulgur, Brot und Brötchen oder etwas ganz anderes, was mir jetzt noch gar nicht einfällt. Auch das bedeutet es, den Anfängergeist zu kultivieren und sich in Achtsamkeit zu üben: Immer wieder neu schauen, wie es jetzt ist.

  3. Gute Gewohnheiten entwickeln
    Wenn der Alltag wegbricht, brechen unsere Gewohnheiten weg. Besonders oft sind davon auch unsere guten Gewohnheiten betroffen oder zumindest das, was wir für eine gute Gewohnheit hielten.
    Doch jedem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hesse): Wenn wir unseren Gewohnheiten nicht mehr folgen können, können wir neue Gewohnheiten entwickeln. Plötzlich haben wir alle viel mehr von dem, wonach wir vorher so verzweifelt gesucht haben: Wir haben Zeit. „Dafür habe ich keine Zeit“ kann nicht mehr als Ausrede dafür herhalten, nicht seinen Prioritäten zu folgen. Wenn wir nun mehr Zeit zur Verfügung haben, kann es ein interessantes Forschungsfeld sein herauszufinden, womit wir das Mehr an Zeit füllen: Sind es die Menschen, Tätigkeiten, Dinge, die unseren Prioritäten entsprechen? Welchem Muster folgen wir hier?
    Haben wir unsere Muster erstmal erkannt, können wir bewusst entscheiden: Was ist mir wirklich wichtig? Wofür möchte ich mir in meinem Leben mehr Raum nehmen? Was hindert mich daran, mir diesen Raum zu nehmen?
    Jetzt ist die Zeit, in der wir entscheiden können, ob wir wirklich neue, gute Gewohnheiten entwickeln wollen. Egal, wie wir uns entscheiden: Wir haben es in der Hand. Wenn wir uns für die guten Gewohnheiten entscheiden, können wir gestärkt aus der Krise hervorgehen. Wir übernehmen Verantwortung für uns und unser Leben. Entscheiden wir uns dafür „so weiterzumachen wie bisher“, müssen wir auch für diese Entscheidung Verantwortung übernehmen. Gerade in Zeiten, in denen es so wenig Möglichkeiten der Ablenkung und Zerstreuung gibt, scheint mir das der härtere Weg zu sein: Wir können uns selbst nicht mehr aus dem Weg gehen.

  4. Empathie und Mitgefühl stärken
    Dass wir uns persönlich nicht begegnen können, ist für die meisten von uns sehr ungewohnt. Für Menschen, die in geschlossenen Einrichtungen untergebracht sind, sind massive Kontakteinschränkungen der Normalzustand. Astronaut*innen sind noch weiter von sozialen Kontakten ausgeschlossen. Ob sie während der Expeditionen psychologische Unterstützung erhalten? Ich stelle mir diese Frage zum ersten Mal. Vielleicht ist die Zeit der Quarantäne auch eine gute Möglichkeit, um Empathie zu entwickeln – und Mitgefühl. Wie fühlt es sich an, nicht in Kontakt gehen zu können? Wir können Mitgefühl für Menschen entwickeln, die nicht so privilegiert sind wie wir: Wir haben noch die Möglichkeit, unsere Kontakte ins Digitale zu verlegen. Diese Haltung können wir auch in der Zeit nach der Krise gut gebrauchen.

  5. Werkzeuge und Techniken für eine digitale Kommunikation nutzen
    Behördlich angeordnete Kontakteinschränkungen, Versammlungsverbote, social distancing. Unser Alltag sieht jetzt ganz anders aus, als wir ihn gewohnt sind. Persönliche Treffen sind auf ein Minimium reduziert. Um unserem Bedürfnis nach sozialem Kontakt nachzukommen, müssen wir kreativ werden. Mit den bisherigen Werkzeugen und Techniken kommen wir nicht weiter: Wir müssen etwas Neues lernen, um auf die geänderten Bedingungen angemessen reagieren zu können. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens finden Kontakte nun auf digitalem Wege statt: Lehrer*innen unterrichten ihre Schüler*innen per Onlinechat, Meetings mit Kolleg*innen werden als Videocall durchgeführt, Seminare und Coachings finden als Videokonferenz oder Onlinekurs statt. Sicherlich kann ein digitaler Kontakt eine persönliche Begegnung nicht vollständig ersetzen. Aber was sollen wir denn tun? Sollen wir stattdessen lieber auf Unterricht, Meetings, Weiterbildung und sozialen Kontakt verzichten? Ich halte das für keinen guten Weg. Stattdessen können wir in diesen Zeiten viel Neues lernen und entwickeln uns in einer rasanten Geschwindigkeit weiter: Statt darauf zu warten, sich irgendwann mal die Zeit zu nehmen, um sich mit der neuen Videokonferenztechnik zu beschäftigen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. So werden Krisen immer zum Motor für Weiterentwicklung und persönliches Wachstum.
    Und so staune ich in diesen Tagen immer wieder, wenn gemeinsame Abendessen nun digital per Videocall stattfinden, es wieder mehr Zeit für lange Telefonate gibt und welche neuen Möglichkeiten sich durch digitale Trainings und Kurse ergeben.

  6. Kreativität beim Kochen entwickeln
    Kochen war für mich schon immer ein sehr kreativer Prozess. In diesen Tagen verändert sich meine Art zu kochen ganz deutlich: Wie viele Menschen habe auch ich bestimmte Gerichte, die ich immer wieder koche. Doch in diesen Zeiten sind längst nicht alle Zutaten für meine Lieblingsgerichte verfügbar. Was tun? Nun kann man sich darüber ärgern und alle Lieferdienste für Lebensmittel minütlich nach der aktuellen Verfügbarkeit prüfen – oder man akzeptiert den Mangel im Außen und entwickelt einen Weg damit umzugehen.
    Nach dem Frust der ersten Tage sind mir inzwischen viele Ideen für neue Gerichte gekommen. Statt nach meinen Vorlieben zu kochen und mich darüber zu ärgern, wenn das nicht geht, koche ich nun nach den Möglichkeiten, die sich mir bieten. Genau genommen, habe ich das schon immer so gemacht – nur nicht so bewusst und radikal. Oft bin ich ohne lange Einkaufsliste in den Supermarkt gegangen und habe mich gern von dem tagesaktuellen Angebot an Obst und Gemüse inspirieren lassen. Auf meinem Einkaufszettel standen nur die Dinge, die wirklich fehlten. Die Ideen für die Gerichte der Woche habe ich mir unterwegs geholt. Was ich schreibe, liest sich wie eine Lektion Achtsamkeitstraining: Im Moment sein und schauen, was jetzt möglich ist – statt einem starren eigenen (und daher immer unzulänglichen) Plan zu folgen. Tatsächlich ist das für mich ein Aspekt gelebter Achtsamkeit.
    In diesen Tagen habe ich – gerade dadurch, weil nicht alles verfügbar war – viele neue Kombinationen an Lebensmitteln entdeckt, die – entgegen meiner Vorstellungen – oft ausgesprochen schmackhaft waren. So gab es gebackenen Rotkohl (sehr lecker), indisches Curry aus Kichererbsen, Gemüseresten und einer selbst gemachten Currypaste (die übliche Currypaste war bereits aufgebraucht) und Kürbisgnocchi (aus einem alten Kürbis vom Garten im Oktober und ein paar allerletzten Kartoffeln). Dass Not erfinderisch macht, ist eine bekannte Weisheit. In diesen Tagen können wir die Wahrheit dieser Weisheit am eigenen Leib erfahren. Auch die Bedeutung von Konserven, Eingewecktem und der Steckrübe wird in diesen Tagen erfahrbar. Der Blick in die Tiefe der Speisekammer wird zum Alltag: diese Dose Sprotten aus Riga, der eingekochte Prager Schinken, das Glas Leberwurst. Diese Zeiten sind die Sternstunde all der Dinge, für die wir bisher in unseren Leben keine Verwendung gefunden haben. In unserer Speisekammer sind noch drei Gläser dieser Nudelsauce, die wir im letzten Jahr aus oberschenkelgroßen Zucchini-Überschüssen gekocht haben. Damals haben wir uns darüber geärgert, dass wir die Zucchini nicht früher geerntet haben, als sie noch zart waren. Jetzt freuen wir uns. Ob etwas gut oder schlecht ist, lässt sich oft nicht so einfach sagen.

  7. Dankbarkeit, Zufriedenheit, Genügsamkeit
    Zeiten von empfundener Knappheit und Mangel bieten auch die große Chance, Dankbarkeit und Wertschätzung für die vermeintlich kleinen und unscheinbaren Dinge zu entwickeln. Wie köstlich schmeckt dieser halbe Apfel, liebevoll in feine Schnitze geteilt? Welches Aroma haben die fünf Erdbeeren zum Frühstück? Wie herrlich cremig ist das selbstgerührte Joghurt-Quark-Dessert? Wie gut schmeckt der Salbeitee mit den getrockneten Blättern vom letzten Jahr? Wie wohltuend kann ein Kräutertee sein, den wir aus einer Mischung von getrockneten Kräutern aus der Vorratskammer zusammenstellen? Wir werden genügsam. Statt im Überfluss zu kochen, bereiten wir nun einen kleinen Salat immer wieder frisch zu. Dann reicht der Salatkopf für mehrere Tage. Reste werden aufbewahrt und zu einem späteren Zeitpunkt aufgewärmt oder mit ein paar frischen Zutaten zu einem neuen Gericht kombiniert. Lebensmittel haben wir schon sehr lange nicht mehr weggeworfen. In diesen Zeiten achten wir besonders darauf, dass wir die Dinge rechtzeitig essen. Gemüsereste, Obstabschnitte, Kaffeesatz und Eierschalen landen auf dem Kompost. Vielleicht wird die Zeit der Quarantäne rückblickend auch eine Zeit, in der wir alle verinnerlicht haben, mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, schonend umzugehen.

  8. Vertiefung statt Abwechslung leben
    Zum Jahreswechsel beschloss ich ein Vertiefungsjahr einzulegen. Das Thema könnte jetzt nicht aktueller sein. Seitdem die Bibliotheken geschlossen haben, habe ich mich schon viel mit den Büchern in meinem Zuhause beschäftigt. Statt Weiterbildungen zu besuchen, nutze ich das Wissen, das schon lange in mir liegt. Statt Abwechslung und Zerstreuung im Außen zu suchen, nutze ich die Dinge, die mir schon zur Verfügung stehen. Mehr sein, statt mehr haben zu wollen. Statt mehr oberflächliches Wissen anzusammeln (haben), entsteht durch die intensive Auseinandersetzung eine wirkliche Verkörperung der Inhalte (sein). Wir wechseln vom Haben-Modus in den Sein-Modus (Erich Fromm).
    Wieviele Bücher gibt es in deinem Bücherregal, die du noch nicht gelesen hast? Was wolltest du schon immer mal lernen, wenn du endlich mal freie Zeit hast? Jetzt ist die Zeit, um all die Dinge aus deinen Schränken und Regalen zu holen, um sie zu neuem Leben zu erwecken. Ein gelagertes Buch hat weniger Wert als ein Buch, das gelesen wird.

  9. Die eigenen Nachbarn kennenlernen
    In vielen Mehrfamilienhäusern Berlins lernt man sich erst beim Auszug kennen. Die Möbel und Dinge, die jahrelang in der Nachbarwohnung standen, stapeln sich nun in Kisten im Treppenhaus. Der Weg ist schmaler geworden, man kommt sich näher. In normalen Zeiten war man viel zu beschäftigt, um seinen Nachbarn zu begegnen. Das hat sich verändert: Nun grüßt man sich, lernt sich kennen – wenn auch aus der Distanz. Eine neue, wirkliche Gemeinschaft kann in den Häusern, Kiezen und Quartieren entstehen. Der kurze Plausch von Balkon zu Balkon, von Terrasse zu Terrasse. Der Rückzug in die eigenen vier Wände führt bestimmt nicht zu einer unbegrenzten Erweiterung von Kontakten. Es kann jedoch eine Vertiefung von bestehenden Kontakten stattfinden oder ein Kennenlernen von Menschen, denen man vorher nicht begegnet wäre. Warum nicht einen Kontakt kultivieren mit den Menschen, die mir räumlich nahe sind statt auch hier an den eigenen Vorlieben und Abneigungen festzuhalten? Jetzt ist auch die Zeit, um herauszufinden, welcher Kontakt uns fehlt (- und welcher nicht). Wir nehmen Kontakt zu Menschen auf, die wir schon lange nicht mehr gesprochen haben.

  10. DIY – Dinge selbst machen und reparieren
    Vor einiger Zeit habe ich entdeckt, welche Befriedigung es mir verschafft, Dinge mit meinen Händen zu erschaffen oder zu reparieren. Das kann eine Tätigkeit im Garten sein, das selbstgebaute Möbelstück oder die Reparatur einer Kommode. Auch wenn meine Eltern mir hier ein jahreslanges Vorbild waren, geholfen hat das nichts: Ich musste eine eigene Erfahrung machen, um das wirklich zu erleben. In diesen Zeiten sind all diese Kompetenzen sehr hilfreich, um durch die Wochen zu kommen. Die Kiste mit Holzresten hat schon Material für das ein oder andere Projekt bereitgestellt oder die Umsetzung erst ermöglicht. Wenn Flüssigseife fehlt, machen wir sie selbst. Der fehlende Haushaltsreiniger wird mit ein paar Zutaten aus dem Hauswirtschaftsraum ersetzt. Brot und Brötchen backen wir aus Sauerteig. Wenn die Temperaturen draußen wärmer werden, gibt es bald den ersten Salat von der Fensterbank. Wir können kochen und bereiten mit ein paar Zutaten nahrhafte Gerichte zu. Jetzt, wo die meisten Restaurants geschlossen haben, ist das einstige Hobby zu einer überlebensnotwendigen Fähigkeit geworden. Zum Glück lässt es sich leicht lernen. Not macht eben erfinderisch.

Berlin, 30.03.2020