„Das Homeoffice nervt einfach!“
„Können die Menschen in der Bahn nicht mal rücksichtsvoller sein?“
„Für die letzten Septembertage ist es aber schon ganz schön kalt!“
„Wieso ist denn jetzt schon wieder Oktober und die Räder müssen gewechselt werden?“
Kommt dir das bekannt vor? Herzlich Willkommen in deinem Mecker-Modus.
Ich glaube, dass wir alle immer mal wieder in den Mecker-Modus verfallen. Dabei hat jede*r Einzelne* von uns ein individuelles Mecker-Profil. Die Dinge, über die wir uns echauffieren, können durchaus verschieden sein: Mal ist es das Wetter, mal die Kolleg*innen oder der Job. Irgendwas ist immer. Oft genug begegnen uns die immer gleichen Themen in etwas anderen Farbnuancen.
Manchmal ist unser Mecker-Profil auch von anderen Menschen abhängig. Dann unterscheiden sich die Inhalte unserer Mecker-Gedanken, die wir mit uns selbst herumtragen auch von den Mecker-Gesprächen, die wir mit anderen führen. In anderen Fällen bleiben wir unserem Stil treu und beschweren uns immer über die gleichen Umstände – ganz unabhängig davon, wer uns umgibt. Unbeirrtfolgen wir dann unserem immer gleichen Gedankenstrom der sich periodisch wiederholenden Mecker-Themen, die sich vor allem um Dinge drehen, die wir ja doch nicht ändern können oder vermeintlich nicht zu ändern sind.
Manchmal wird der Mecker-Modus auch zu einem richtigen Mecker-Kanon. Denn oft genug ist es eine – vielleicht achtlos geäußerte – Bemerkung eines anderen Menschen, die uns einlädt in den Mecker-Modus einzustimmen. Wenn andere Menschen dann bei einem ausgedehnten Spaziergang an uns vorübergehen und uns beim gemeinschaftlichen Meckern begegnen, liegt der Eindruck nahe, dass es sich hierbei um zwei ausgesprochen unglückliche Zeitgenoss*innen handeln muss. Doch – wie so oft – trügt der erste Eindruck auch hier.
Confession: Ich mag es zu meckern! Eine Weile so richtig im Mecker-Modus zu schwelgen, wärmt mein Herz.
Wenn man ganz genau hinschaut, ist es jedoch gar nicht der Mecker-Modus selbst, der mir Freude bereitet, sondern das, was aus ihm entsteht. Doch um an die süße Frucht zu kommen, muss man erstmal eine Weile durch den sprichwörtlichen Sumpf waten. Es ist ein bisschen wie bei der Kartoffel-Ernte: Nur wer tief gräbt, fährt eine satte Ernte ein.
Im Kartoffelbeet musst du dich langsam bewegen. Die Ernte ist recht mühsam und aufwändig: Zentimeter für Zentimeter wühlst du dich durch den schweren, feuchten Erdboden, um dann ein paar gelbe oder rote Knollen zu finden. Dabei musst du vorsichtig und langsam vorgehen, denn sonst werden kleine Knollen von der zurückfallenden Erde verschüttet. Dann hast du die Ernte in diesem Jahr zwar verpasst, kannst aber darauf vertrauen, dass diese Knollen im nächsten Frühjahr wieder austreiben. Willst du also schon jetzt ernten, musst du geduldig, immer wieder die Erde sanft lockern und mit den Händen durchpflügen. Manchmal musst du einen halben Meter tief graben. Ich nehme mir dann oft eine Grabegabel oder am liebsten einen Sauzahn zur Hilfe. Die Grabegabel ist durch den Hebel deutlich kräfteschonender. Mit dem Sauzahn bist du jedoch viel dichter am Boden und kannst den Boden noch genauer durchsuchen. So geht keine Knolle verloren.
Es geht also um die Frucht, um den süßen Kern, der in jedem Mecker-Modus steckt. Der Weg, um diesen geschmackvollen Kern zu entdecken, ist allerdings ziemlich beschwerlich: Wenn wir meckern, sind unsere Muskeln meist angespannt. Die Stirn ist kraus und wir haben einen ernsten Gesichtsausdruck. Manchmal zieht der Mecker-Modus auch so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass die Wahrnehmung der Umgebung schwierig wird und man besser durch einen einsamen Park schlendert statt an einer vielbefahrenen Straße entlangzugehen oder auf einem unbefestigten Waldweg vergeblich nach sicherem Halt zu suchen.
Es ist ausgesprochen hilfreich, wenn wir wissen, wie sich der Mecker-Modus anfühlt. Dann erkennen wir ihn nämlich schon, wenn er sich langsam von hinten anschleicht und können dafür sorgen, dass wir ihm in einer angemessenen Weise begegnen. Statt ihn zu verjagen, können wir ihm und uns einen bequemen Platz einrichten, für die Zeit, die er bei uns ist.
Eine angemessene Art finden, dem Mecker-Modus zu begegnen
Doch was ist eine angemessene Weise, dem Mecker-Modus zu begegnen? Instinktiv neigen wir dazu die unangenehmen Erfahrungen so schnell wie möglich loswerden zu wollen. „Weg damit!“ „Mit negativen Gefühlen möchte ich mich nicht beschäftigen!“ „Ich möchte das loslassen!“ All diese spontanen Reaktionen sind durchaus nachvollziehbar. Es ist sehr menschlich, dass wir angenehme Erfahrungen mehren wollen – und Unangenehmes versuchen zu vermeiden. Gewissermaßen trifft diese Haltung alles, was anders ist, als wir es uns vorgestellt haben und eben auch den Mecker-Modus.
Was uns der Mecker-Modus zeigt
Doch wenn wir dem Mecker-Modus vollends aus dem Weg gehen würden oder ihm keinen Platz in unserem Leben geben würden, wäre das ziemlich schade. Wir würden eine interessante Erfahrung und eine Möglichkeit zu lernen verpassen. Denn bisher habe ich noch keine Situation erlebt, wo der Mecker-Modus nicht doch einen lehrreichen, süßen Kern hatte.
Bei allem Interesse und Forschergeist sollten wir nur darauf achten, dass sich der Mecker-Modus nicht bei uns einnistet. Wir sollten ihn daher behandeln, wie einen Gast, dem wir einen gemütlichen Platz einrichten, an dem man sich für eine gewisse Zeit wohlfühlen kann – aber eben nicht zuhause.
Wenn wir unzufrieden sind mit uns selbst, der Gesamtsituation oder einem konkreten Aspekt unseres Lebens, dann zeigt uns diese Unzufriedenheit, dass etwas nicht stimmt. Statt vorschnell den Mecker-Modus loswerden zu wollen und dieses wichtige Sprachrohr für unsere Bedürfnisse mundtot zu machen, sollten wir das Gegenteil tun: Wir sollten uns hinsetzen und uns selbst beim Meckern zuhören. Wir sollten unser Meckern ernst nehmen und uns selbst mit dem Respekt begegnen, den wir auch von anderen Menschen erwarten. Dann nähern wir uns Stück für Stück dem Kern unseres Meckerns. Nur wenn wir geduldig mit uns selbst sind, uns wirklich zuhören und versuchen zu verstehen, was uns unser Meckern sagen möchte, nur dann kommen wir stetig der süßen Frucht näher und finden heraus, was uns wirklich wichtig ist. Und wenn wir herausgefunden haben, was unserem Leben Sinn gibt, werden wir Wege finden, um diese Aspekte (wieder mehr) in unser Leben zu holen, um zufrieden und glücklich zu sein.
Berlin, 27.09.2020