Bestimmt hast du es schon mitbekommen: Ich liebe Gartenarbeit. Mir bereitet es sehr viel Freude, wenn ich Pflanzen beim Wachsen zuschauen kann und sie dabei unterstütze, dass sie die besten Bedingungen für ein gesundes Wachstum bekommen. Im vergangenen Winter habe ich die Zeit im Garten sehr vermisst und mich gefragt, wie es möglich sein kann, dass ich auch im Winter etwas Zeit mit Gartenarbeit verbringen kann. Dafür habe ich mir einen Fenstergarten und eine hydroponische Anlage gebaut. Inzwischen gibt es sogar zwei Fenstergärten in unserer Wohnung, wobei der erste zu einem richtigen Pflanzenfenster gewachsen ist. Auf einer Höhe von zwei Metern wachsen dort Bohnen, Tomaten, Mangold, Basilikum und Lauch. Das alles hat auch wunderbar mit dem spärlichen Licht der Wintersonne geklappt. Im Laufe der Zeit habe ich allerdings festgestellt, dass dem Wachstum eines Indoor-Gartens natürliche Grenzen gesetzt sind. Manche dieser Grenzen lassen sich mit viel Aufwand in Form von Zeit und Energie überwinden – aber dann stellt sich irgendwann die Frage der Sinnhaftigkeit. Ist es überhaupt sinnvoll, wenn wir zu jeder Zeit alles haben wollen? Welchen Aufwand muss ich betreiben, um auch bei Minusgraden frisches Gemüse auf der Fensterbank anzubauen?
Inzwischen läuft das Projekt seit vier Monaten und neben den vielen Glücksmomenten, die ich dabei erlebt habe, bin ich auch oft gescheitert. In den letzten Jahren habe ich Chilipflanzen immer als Jungpflanzen gekauft und wollte mich in diesem Jahr an die eigene Anzucht wagen. Ich habe mir Samen von ganz unterschiedlichen Sorten und Schärfegraden beschafft. Ich liebe einfach die kräftig leuchtenden Farben der Früchte, die so unterschiedlich geformt und auch geschmacklich so verschieden sind. Chilipflanzen brauchen sehr viel Sonnenlicht, um zu wachsen und entwickeln sich auch ziemlich langsam. Daher müssen sie in unseren Breitengraden bereits im Februar vorgezogen werden, damit der recht kurze Sommer für die vollständige Entwicklung der Pflanze ausreicht. Meine etwa 50 Chilipflanzen begleiten mich also schon eine ganze Weile.
Kürzlich ist dann – wie aus dem Nichts – eine ganze Kolonie von Blattläusen aufgetaucht und hat sich über meine jungen Chilipflanzen hergemacht. Und dann fing der kräftezehrende Kampf gegen die Blattläuse an: Ich probierte allerlei Hausmittel aus. Ich sprühte Milch- und Knoblauchsud auf, kochte einen Sud aus Brennesseln, den ich ebenfalls auftrug. Die Blattläuse waren immer noch da. Ich nahm jedes einzelne der kleinen Pflänzchen in die Hand und duschte sie vorsichtig ab und half ihr dabei die Blattläuse loszuwerden und wieder zu Kräften zu kommen. Das half – wenigstens temporär. Nach ein paar Stunden waren die ersten Blattläuse wieder da. Nach ein paar Tagen wiederholte ich die Prozedur – um sie wenige Tage später erneut zu wiederholen. Es war ein Trauerspiel.
Ich konnte es kaum mit ansehen, wie die Blattläuse meinen Pflanzen den Lebenssaft raubten. Und ich fragte mich, warum es dazu kam. Blattläuse sind ja nicht von sich aus schlecht und bösartig. Vielmehr waren diese Blattläuse ein Zeichen, dessen Bedeutung ich nur erstmal entschlüsseln musste. Wie so oft sind schwierige Situationen, die uns im Leben begegnen, ja wunderbare Möglichkeiten zum Lernen und Wachsen. Aber was sollte ich hierbei lernen?
Mein zweites Versuchsfeld war eine hydroponische Anlage. Die Grundidee von hydroponics ist der Anbau von Pflanzen in einem porösen Substrat (z.B. Ton, Bimsstein), das selbst über keinerlei Nährstoffe verfügt. Die Pflanzen wachsen in dem Substrat, das in Gitternetztöpfe gefüllt wird. Die Töpfe werden dann in Container gesetzt, die mit einer Nährstofflösung gefüllt sind. Durch diesen Aufbau sind die Nährstoffe schneller verfügbar als in Erde – jedoch ist der Aufwand, um den Nährstoffverbrauch zu überwachen, nicht unbeträchtlich. Die Kultur in Erde ist da viel pflegeleichter, wenn auch langsamer. Wenn du mehr von meinen Erfahrungen beim Anbau von Gemüse hören möchtest, schreib mir doch gern eine E-Mail. Ich habe in den letzten Monaten Experimente mit verschiedenen Systemen gemacht, zum Teil fertige Sets verwendet und auch eigene Systeme gebaut. Manche der Pflanzgefäße stehen am Fenster, andere lasse ich unter einer Pflanzenlampe wachsen. Vor allem im Winter erscheint mir eine Pflanzenlampe eine sinnvolle Investition. Auch wenn es keine oder nicht genügend Platz auf der Fensterbank oder nicht ausreichend Sonnenlicht gibt, sind Pflanzenlampen sinnvoll. Aktuell wachsen einige Chilli- und Paprikapflanzen, Mangold, eine Zucchini, Kräuter und Salate in dieser hydroponischen Anlage.
Dann wurde es mir klar: Die Pflanzen waren einfach aus ihrer Kinderstube herausgewachsen und standen zu eng. Offenbar waren die Bedingungen in den ersten Wochen so günstig, dass sie sich – für diese erste Lebensphase – prächtig entwickelt hatten. Und nun war es für sie an der Zeit, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Sie mussten umgetopft werden. Knapp 50 Chilipflanzen brauchten also ein neues Zuhause – und zwar schnell. Der Kampf um Licht und Nährstoffe in der hydroponischen Anzuchtbox hatte sie geschwächt und so hatten die Blattläuse ein leichtes Spiel. Nun musste ein neues Zuhause her, das für diese neue Lebensphase passend war. Und weil die Pflanzen Ende Mai sowieso in den Garten und aufs Feld in die Erde kommen, suchte ich schöne Töpfe aus und topfte sie um. Jede einzelne der Chilipflanzen nahm ich in die Hand, brauste sanft die Blattläuse ab und ließ sie dann in ihrem neuen Zuhause einziehen. Da diese Arbeit einige Zeit in Anspruch nahm, bot sich mir eine gute Gelegenheit, um über die größeren Zusammenhänge nachzudenken, für die diese Blattläuse auf den Chilipflanzen stehen.
Wenn es uns gelingt anzuerkennen, dass es für alles einen richtigen Moment und eine Zeit im Leben gibt, dann kann das Kämpfen aufhören. Es bedeutet auch, mit dem was ist, einverstanden zu sein. Nichts anders haben wollen, sondern einverstanden sein, dass es so ist, wie es ist. Auch wenn es unangenehm ist, anerkennen, dass etwas unangenehm ist. Anerkennen, wie es ist – und nichts ändern wollen. Nicht auf den erlebten Mangel reagieren, um ihn zu beseitigen. Sondern vielmehr mit der unangenehmen Erfahrung sein und diese erforschen. Sich dem Unangenehmen mit so viel Freundlichkeit und Interesse zuwenden, wie es jetzt gerade möglich ist.
Der Wunsch, die Gartenzeit auch auf den Winter auszudehnen, hat mich dazu gebracht, nicht im Einklang mit den Rhythmen der Natur zu leben. Das führte dann zu Problemen, deren Lösung äußerst zeitaufwändig war. Warum warten wir nicht etwas ab, schöpfen Kraft und üben uns in Gelassenheit und Geduld, bis das nächste Frühjahr kommt? Das natürliche Sonnenlicht ermöglicht, dass alles im Überfluss wächst. Bienen kümmern sich um die Bestäubung der Pflanzen und Marienkäfer sorgen dafür, dass Blattläuse nicht dauerhaft und als Plage auftreten. Wenn wir in den Wintermonaten eine gute Ernte erreichen wollen, müssen wir sehr viel Energie aufwenden und uns anstrengen. Es reicht völlig, wenn wir unsere Samen zum richtigen Zeitpunkt in die Erde bringen, um mit üppig gefüllten Erntekörben im Sommer den Garten zu verlassen.
Wenn wir im Einklang mit den Rhythmen und Regeln der Natur leben und für uns selbst gute Wachstumsbedingungen schaffen, dann können wir langfristig glücklich sein. Dann arbeiten wir nicht gegen unsere Natur, sondern leben im Einklang mit ihr und unseren Werten. Dann gelingt ein glückliches Leben ganz mühelos wie von selbst und wir können aufhören zu kämpfen.
Berlin, 7. April 2019