Manchmal geht im Leben alles schief. Nichts von dem, was wir erwartet haben, funktioniert. Unsere Pläne lösen sich auf wie leichte Sommerwolken an einem strahlend blauen Himmel. Plötzlich ist da nichts mehr. Zurück bleibt nur Chaos und Irritation. Manchmal ist es ein Scherbenhaufen. Oder gleich eine ganze Wagenladung Mist.
Bei meiner Alpenüberquerung im Juli sind mir am Wegesrand sehr oft richtige Mistlager begegnet. Das sind Vorrichtungen aus Beton, in denen Tiermist sachgemäß gelagert wird. Es gibt jede Menge Vorschriften, die beim Bau solcher Mistlager berücksichtigt werden müssen. Mist ist eben eine ernste Sache.
Sehr oft waren diese Mistlager jedoch leer. Mich hat das gewundert und traurig gemacht. Tiermist ist eine wichtige Ressource für die Landwirtschaft, denn aus dem Stoffwechselendprodukt der Tiere entsteht neues Leben. Das weiß ich spätestens seitdem ich mich mit dem Anbau von Gemüse beschäftige. Seitdem kompostiere ich im Haushalt alle organischen Abfälle. Durch die fleißige Arbeit der Kompostwürmer entsteht das schwarze Goldfast wie von selbst. Mit diesem Begriff bezeichnen wir Gärtner*innen das, was die Würmer von unseren Abfällen zurücklassen.
Auch im übertragenen Sinn halte ich den Mist, den das Leben für uns bereithält, für eine wertvolle Ressource. Manchmal beschenkt uns das Leben nur einmalig – dafür aber ausgesprochen großzügig – mit einer ganzen Wagenladung Mist. Oder die Lieferungen kommen in schöner Regelmäßigkeit immer wieder in kleinen Dosen. Jeden Tag ein voller 5-Liter-Eimer.
Dabei ist eins ganz sicher: Wir haben den Mist nicht bestellt. Und wir wollen ihn auch nicht haben. Vielleicht beklagen wir uns bei jeder Gelegenheit über den Misthaufen in unserem Zuhause. Wir stecken uns den Mist in die Taschen und tragen ihn den ganzen Tag mit uns herum. Die Menschen auf der Straße drehen sich um, wenn sie den Mist aus unseren Taschen quellen sehen. Vielleicht können sie auch schon von weitem den beißenden Geruch riechen. Selbst Menschen, die uns näher stehen, wenden sich dann irgendwann ab. Irgendwann ist die Belastungsgrenze jeder Beziehung erreicht.
Doch es ist wie es ist: Vor unserer Tür oder mitten im Wohnzimmer liegt ein riesiger, stinkender Haufen Tierdung. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als den Mist Schaufel für Schaufel abzutragen. Dabei stärken wir unsere Muskeln und unsere Kreativität: Denn wohin nur mit so einem stinkenden Haufen Mist?
Was hältst du in deinem Leben für Mist? Manchmal sind es plötzliche Veränderungen, Krankheiten oder Stagnation. Doch wer weiß denn schon, ob es sich bei der Veränderung tatsächlich um Mist handelt? Möglicherweise sind wir etwas vorschnell, wenn wir Umstände als „Mist“ bezeichnen. Vielleicht sind die Momente, die in unserem Leben „schief laufen“ auch der notwendige Dünger für ein neu angelegtes Beet, auf dem ganz bald schon bunte Dahlien oder aromatische Tomaten wachsen? Ein Hochbeet hat ein ziemlich großes Volumen und kann jede Menge Mist aufnehmen. Pflanzen mit einem hohen Nährstoffbedarf sind dankbar dafür.
Gestern zum Beispiel bin ich in die Falle eines unerwarteten Schienenersatzverkehrs getappt: Plötzlich ging nichts mehr. „So ein Mist!“ Und was ist passiert? Ich hatte einen sehr belebenden Spaziergang mit viel frischem Wind um die Nase. Auf dem Weg sind mir viele andere Menschen begegnet, die offenbar in die gleiche Falle getappt waren. Und weißt du, was mich dabei ganz besonders gefreut hat? Die meisten von ihnen hatten ein Lächeln im Gesicht – und kein Telefon vor der Nase.
Natürlich ist ein unerwarteter Schienenersatzverkehr nur ein ziemlich kleiner Misthaufen im Leben eines Menschen – jedenfalls nach meiner Erfahrung. Ich glaube jedoch, dass auch die großen Misthaufen, die uns das Leben liefert, ganz wertvolle Erfahrungen bereithalten – wenn es uns gelingt, uns ein wenig von unseren Vorstellungen zu lösen.
Welchen Misthaufen bist du in deinem Leben schon begegnet? Und was ist aus dem gewachsen, was sich zunächst als widerlich stinkender Haufen vorstellte? Vielleicht ist das auch ein Moment, um all die kleinen Misthaufen zu würdigen, die sich immer wieder im Leben zeigen. Sie machen einen harten Job – aber es ist ein wichtiger.
Berlin, 18.09.2019
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