In den letzten Wochen habe ich sehr viel Zeit draußen verbracht. Der Umzug am Anfang des Jahres in die neue Wohnung hat mir eine Überraschung verschafft: Die neue Wohnung hat einen schönen Süd-West-Balkon! In der alten Wohnung gab es zwar auch einen Balkon, allerdings war dieser nach Norden ausgerichtet und irgendwie war es dort immer so zügig, dass ich nicht wirklich viel Zeit dort verbracht habe. Oft war er nur der Platz für das Wäschegestell – wenn überhaupt. Irgendwie war dieser Balkon in der alten Wohnung ein eher trister Platz.
Umso mehr genieße ich die vielen Momente, die ich im Moment draußen auf dem Balkon verbringe. Ich habe in diesem Jahr das Gärtnern (wieder-)entdeckt. Und es macht mir sehr viel Freude! Genau genommen habe ich mir in den letzten Wochen ein richtig schönes Ritual angewöhnt. Jeden Morgen gehe ich als erstes auf den Balkon und schaue nach den Pflanzen. Ich habe mit einigen Samen angefangen und auch ein paar Jungpflanzen gekauft und in Töpfe, Kästen und Kübel eingepflanzt. Zum Glück gibt es dieses Pflanzsubstrat, was man in Wasser aufquellen lassen kann – sonst hätte ich einiges an Kilo nach oben getragen.
Achtsames Gärtnern
In den letzten Wochen habe ich mich so viel mit Pflanzen beschäftigt, wie ich das schon seit Jahren nicht mehr gemacht habe. Und wenn ich dann so auf dem Balkon bin, bin ich ganz im Moment. Nichts ist mehr wichtig, ich beobachte die Pflanzen in ihrem Wachstum und staune jeden Morgen und Abend was alles so passiert. Dabei nehme ich immer wieder die Blätter zwischen die Finger und genieße den Duft von Zitronenthymian, Minze oder Oregano. Die ersten Kräuter habe ich auch schon geerntet und im Salat genossen.
Über den Zusammenhang von Gärtnern und Entspannung
Ich bemerke bei der Beschäftigung mit den Pflanzen, dass ich es am Anfang gar nicht erwarten konnte, bis sich die ersten Keimblättchen gezeigt haben. Nun ja, Geduld gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken. Und dann gab es ja auch die Samenkörner, die einfach nicht aufgehen wollten. Es gibt auch heute noch eine Pflanzschale, die im Gegensatz zu dem schönen und üppigen Grün, einfach noch kein Lebenszeichen gezeigt hat. Diese Schale sticht richtig heraus – weil einfach (noch) nichts Grünes da ist. Dabei habe ich auch bemerkt, dass mir die Pflanzen am meisten positive Gefühle bringen, die besonders schnell wachsen.
Dabei ist mir bewusst geworden, wie menschlich doch diese Ungeduld ist – und dass sich auch eine gute Parallele zu meinen Entspannungskursen ziehen lässt. Immerhin geht es bei der Entspannung auch darum erstmal ganz geduldig seine Übungen zu machen. Und am Anfang übt man und merkt erstmal noch gar nichts. Und dann braucht es genau an dieser Stelle Geduld und Ausdauer und Ruhe, damit sich dieses kleine Pflänzchen entwickeln kann.
Gewissermaßen ist das Training der Entspannung wie ein Samen, der erstmal Licht (Lichtkeimer) und Wasser benötigt und Zeit. Und nachdem der Samen dann gekeimt ist, zeigen sich die ersten Keimblätter. Und dann hat man schon etwas, woran man sich festhalten kann (natürlich nur im übertragenen Sinne, denn so stabil sind die kleinen Pflänzchen da noch nicht). Und das ist auch der Punkt, wo beim Erlernen einer Entspannungstechnik dann die erste Zuversicht und Freude entsteht. Man freut sich, dass man etwas spürt oder – wie bei den Pflanzen – etwas sieht.
Im weiteren Verlauf kommen dann immer mehr Blätter und die Pflanze wächst und wird stabiler. Und ebenso wie bei den Pflanzen wird auch das Training stabiler und die Entspannungsreaktionen stellen sich zuverlässiger ein.
Später bekommt sie die ersten Blüten, die auch eine Weile auf sich warten lassen, bis sie von den Bienen befruchtet sind. Wenn dann die ersten Früchte kommen, freut sich der Betrachter umso mehr. Und beim Erlernen einer Entspannungstechnik wie dem Autogenen Training, erlebt der Übende dann meist, dass die Übungen auch ihre Effekte in den Belastungssituationen zeigen und damit „von Erfolg“ gekrönt sind.
Ich glaube, dass das Autogene Training immer ein Erfolg ist. Manchmal stellt sich nur ein anderer Erfolg ein, als eine Veränderung in dem Bereich, wo man sie erwartet hat (also z.B. in der Belastungssituation). Hier wird auch wieder der Zusammenhang zum Thema Achtsamkeit deutlich: Wenn ich etwas erwarte, was passieren oder sich einstellen soll, verpasse ich vielleicht einen Effekt an einer anderen Stelle. Ich fokussiere meinen Blick so sehr auf das, was erreicht werden soll, dass ich dabei den Zauber der Übung verpasse.
An dieser Stelle kann ich nur noch einmal unterstreichen, wie wichtig es ist, mit einem offenen Blick und einer zugewandten Haltung ans Üben zu gehen. Zu beobachten was passiert ist viel zielführender als abzuwarten bis genau das passiert, was man erwartet hat. Falls diese Erwartung sich überhaupt jemals einstellt.