Im Alltag bemerkt man gut gelernte Gewohnheiten manchmal daran, dass es einem sehr schwer fällt, eine Veränderung im Leben zu ermöglichen oder zuzulassen. Vor allem in Stresssituationen neigen wir dazu, wieder in unsere Gewohnheiten und Muster zurückzufallen und zwar unabhängig davon, ob sie für uns nützlich oder weniger nützlich sind. Manchmal fällt es uns im Alltag sehr schwer, einen anderen Weg zu gehen. Eine gut gelernte Gewohnheit ist – um im Bild zu bleiben – die Autobahn, die sich in unserem Gehirn entwickelt hat. Manchmal kommen wir dann gar nicht mehr auf die Idee, dass es auch einen anderen Weg geben könnte, so sehr haben wir uns an unsere Autobahn gewöhnt. Manchmal muss uns dann das Leben zeigen, dass es einen anderen Weg gibt.
Am Fenster rauscht die eintönige Landschaft an dir vorbei. Oft fährst du durch Wälder. Falls du öfter durch Brandenburg fährst, dann kennst du auch die vielen Wiesen und Felder, die an die Autobahnen grenzen. Sehr oft wechseln sich diese Felder auch mit Kiefernwäldern ab. Es ist ein bisschen schade, dass die Landschaft neben der Autobahn oft so wenig Abwechslung bietet. Aber wir rauschen im Auto ja sowieso nur mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit durch die Landschaft. Bei Geschwindigkeiten jenseits der 120 km/h konzentrieren wir uns wohl eher auf das Fahren, als auf die Umgebung in der wir reisen. Eine anregende Landschaft würden wir so wahrscheinlich gar nicht bemerken.
Mit den Autobahnen in der Landschaft ist es ein bisschen so wie in unserem Gehirn mit den Gewohnheiten. Die Autobahn ist für mich ein Bild für gut gelernte Gewohnheiten. Nur weil diese Gewohnheiten gut gelernt sind, müssen sie jedoch noch lange nicht gut sein.
Wir gewöhnen uns scheinbar so mühelos und schnell an diese Gewohnheit und an die Geschwindigkeit, mit der wir auf dieser Autobahn unterwegs sind, dass jede Störung im Verkehr und jede Baustelle uns aus der Bahn wirft. Manchmal ist diese Baustelle eine Wanderbaustelle und begleitet uns eine Weile. Manchmal ist diese Baustelle auch schon mit sehr viel Zeit im Voraus angekündigt worden. Dennoch rauschen wir in sie hinein und sind überrascht, dass wir unsere Geschwindigkeit jetzt vielleicht auf 80 km/h, 60 km/h oder sogar 40 km/h reduzieren müssen.
Und was passiert dann? Dann kommt uns diese Geschwindigkeit so unglaublich langsam vor. Im Kopf startet die Denkmaschine und die ganzen Erwartungen melden sich einmal wieder. Die Geschwindigkeit, mit der wir vorher durch die Landschaft gerauscht sind, ist Normalität geworden. Die 80 km/h, 60 km/h oder 40 km/h fühlen sich ungewohnt an.
Aber ist das immer so, dass sich Geschwindigkeiten unter 80km/h langsam anfühlen? Nein, natürlich nicht. Es ist ein Beispiel für Kontextabhängigkeit unseres Verhaltens. Wenn wir uns auf der Autobahn befinden und durch unser Leben rauschen, dann erscheinen uns Geschwindigkeiten – manchmal deutlich über 120 km/h – als ganz normal. Wenn wir uns mitten in einer Baustelle auf der Autobahn befinden, dann fühlen sich 80km/h sehr langsam an. Doch wie wäre es, wenn wir mit 80 km/h durch ein Wohngebiet brausen? Wahrscheinlich würden uns 80 km/h in diesem Umfeld doch sehr schnell vorkommen. Natürlich ist das individuelle Erleben auch hier sehr unterschiedlich.
Auch beim Thema Stress ist das so. Für einen Menschen sind gleichmäßige Tätigkeiten mit vielen Gewohnheiten und Routinen die absolute Erfüllung. Ein anderer Mensch fühlt sich erst dann wohl, wenn er viel zu tun hat und es viele, sehr unterschiedliche Aufgaben in seinem Leben gibt. Hier lohnt es sich einmal wieder den Blick nach innen zu richten und zu schauen, welches Maß und welche Geschwindigkeit sich für mich gut an fühlt. Das Erkennen der eigenen Vorlieben und Bedürfnisse ist ein erster Schritt, um sich ein Leben zu gestalten, das glücklich macht. Übrigens kann sich die Geschwindigkeit, die mir angenehm erscheint, auch im Laufe des Lebens ändern. Das geschieht sogar sehr regelmäßig. Daher sollten wir regelmäßig prüfen, ob wir noch immer mit der Geschwindigkeit unterwegs sind, die jetzt zu uns passt – oder ob wir nur einer alten Gewohnheit folgen.
Was für ein Glück, dass wir bis zum letzten Atemzug die Möglichkeit haben uns zu verändern – sofern wir es denn möchten.
Berlin, 2. Februar 2019