Es ist jedes Jahr das gleiche Muster: Im Januar packt mich die Lust, etwas im Garten zu machen! Die Zeit der Ernte ist dann schon eine Weile her. Auch die vielen Handgriffe, die nötig sind, um den Garten winterfest zu machen, sind schon lange abgeschlossen, die Mühe vergessen. Der Garten ist im Januar oft nur eine blasse Erinnerung. In dieser Zeit fehlt mir die Gartenarbeit ganz besonders: Es ist draußen noch zu kalt, um lange etwas im Garten zu machen. Und für die erste Anzucht des Jahres fehlt noch das Tageslicht. Das macht meine Stimmung manchmal genauso trüb wie das Wetter im Januar so oft ist.
Neue Beete anlegen und gestalten, mit den Händen in der Erde sein, die Tomaten ausgeizen, den Kompost umschichten, täglich durch den Garten gehen, um die Veränderungen zu bestaunen… All das fehlt mir im Winter.
Im Winter, wenn es draußen kalt ist und die Bäume kahl sind, dann wird die Struktur des Gartens auf besondere Art sichtbar. Das, was im Sommer von dichtem Blattwerk bedeckt wird, tritt jetzt zu Tage. Der Winter ist die Zeit der Wurzeln, der Baumstämme und Sträucher mit all den unterschiedlichen Formen, die man hier entdecken kann. Manchmal ist auch alles ganz weiß und mit einer weichen Decke aus Schnee bedeckt. Wie weißer Samt sieht es dann manchmal aus, wenn an einem sonnigen Wintertag die Sonne ganz tief steht und die Schneekristalle glitzern und funkeln.
Der Winter ist die Ruhephase des Gartens draußen vor der Tür. Doch im Inneren, unter der oberflächlichen Ruhe und Untätigkeit, passiert viel. Die Wurzeln lagern Zucker ein, alles sammelt Kraft und bereitet sich vor, um mit den ersten Sonnenstrahlen des Frühjahrs neu auszutreiben. Ein neues Leben beginnt.
Doch zum Glück gibt es noch einen anderen Aspekt bei der Gartenarbeit. Das praktische Arbeiten ist ja nur die eine Seite der Gartenarbeit. Auf der anderen Seite ist der Winter die Zeit, um den Garten in der Vorstellung zu pflegen: Welche Blumen sollen in diesem Jahr blühen? Welches Gemüse soll angepflanzt werden? Wo könnte ein Platz für einen Johannisbeerstrauch sein? Gibt es vielleicht einen Ort, wo eine Kiwi ranken könnte? Wo könnten Stachelbeeren unterkommen? Welche Tomatensorten sollen in diesem Jahr wachsen? Wieviele Chilipflanzen braucht es in diesem Jahr, damit die Ernte für einen Winter reicht?
Im Winter arbeiten wir Gärtner*innen im Garten unserer Träume und Vorstellungen. Wir erstellen Anbaupläne, konstruieren passende Pflanzgefäße und gestalten den Garten nach der Ausrichtung des Lichtes und den Erfahrungen der vorangegangenen Saison neu. Auch das ist Gartenarbeit.
Zum Glück kommen die Samentüten schon früh im Jahr in die Gärtnereien und Supermärkte. So ist der Winter auch die Zeit, um all die Samen, die im vergangenen Jahr leidenschaftlich gesammelt wurden, zu sichten und mit in die Planung der Beete aufzunehmen.
Dabei birgt jeder Samen eine Erinnerung und ein Versprechen. Eine Erinnerung an den Moment, als du die Samen aus den Pflanzen des Vorjahres gewonnen hast. Im Garten in der Sonne stehend hast du die Samenkapseln vorsichtig herausgebrochen. Dann hast du sie sorgsam nach Hause transportiert, sie getrocknet und beschriftet. Sie liegen in einer Kiste, bis sie wieder zum Leben erwachen können. Jeder Samen trägt so auch ein Versprechen in sich: Werden die Tomaten in diesem Jahr wieder genauso köstlich schmecken? Wird die Pflanze in diesem Jahr wieder so gut wachsen? Werden die Samen überhaupt aufgehen? Wir die Pflanze Früchte tragen?
Wir wissen es nicht. Alles was wir tun können, um der Pflanze gute Möglichkeiten zur Entwicklung zu geben, werden wir tun. Doch ob unser Plan aufgeht, das wissen wir nicht. So konfrontiert uns jeder Samen und jede Pflanze im Garten mit unseren Vorstellungen und Erwartungen an das Leben. Gleichzeitig zeigt uns jede Pflanze, dass das Leben nicht kontrollierbar ist.
Ob ein Samen aufgehen wird oder nicht – wir wissen es nicht.
Ob eine Pflanze gut wachsen wird oder nicht – wir wissen es nicht.
Ob die Früchte uns schmecken werden oder nicht – wir wissen es nicht.
Das einzige, was wir wirklich machen können ist, darauf zu vertrauen, dass das Leben sich entfalten möchte. Denn diese Kraft trägt jedes Samenkorn in sich: Es ist das konzentrierte Leben.
Berlin, 01.02.2020