Wie Wohlbefinden und Resilienz entstehen

Wie Wohlbefinden und Resilienz entstehen

Als ich die erste Waschmaschine in meinem Leben angeschlossen habe, fühlte ich mich sehr stark. Als ich das erste Möbelstück in meinem Leben gebaut habe, fühlte ich mich sehr kraftvoll. Als ich das erste Feld in meinem Leben bestellt habe und das erste eigene Gemüse zubereitet habe, fühlte ich mich wundervoll. Als es mir gelungen ist den Sauerteig für das Brot anzusetzen und die richtigen Bakterien zu aktivieren, war ich sehr zufrieden. Als ich durch das Karwendelgebirge von Hütte zu Hütte gelaufen bin und irgendwann den Achensee erreicht habe, war ich sehr glücklich. Die Gründe, die dazu geführt haben, dass ich diese Situation erlebt haben, waren nicht immer positiv. Manche dieser Auslöser kann man als waschechte Krisen bezeichnen.

Aber das, was am Ende daraus entstanden ist, das ist Resilienz. All diese Situationen haben dazu beigetragen, dass ich mehr Selbstwirksamkeit entwickeln konnte. Wenn wir uns selber vertrauen können und wissen, dass wir das, was wir uns vornehmen auch bewältigen können, dann fühlen wir uns stark. Mehr noch, dann sind wir stark. Wenn wir solche Erfahrungen machen, dann entsteht die Gewissheit, dass wir dem Leben und allen Krisen, die noch kommen werden, gewachsen sind. Wir können dem begegnen, was uns auf unserem Weg begegnen wird. Wir werden mutig, uns auch in neue Situationen hineinzubegeben. Dazu gehören auch Situationen, die eine Herausforderung für uns darstellen und auch Situationen, die anstrengend sind oder in denen wir erstmal nicht genau wissen, wie wir sie überhaupt bewältigen sollen.
Der Weg entsteht beim Gehen, sagt man. Diese Redewendung trifft nicht nur auf Wanderungen und Spaziergänge zu. Der Weg entsteht beim Gehen. Wir müssen den ersten Schritt machen, um uns selbst zu ermöglichen, Stück für Stück mehr Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Wenn wir uns nur im warmen Nest der Gewohnheiten bewegen, dann berauben wir uns der Möglichkeit Resilienz zu entwickeln. Bleiben wir in diesem bekannten und manchmal auch ganz gemütlichen Nest, berauben wir uns der Möglichkeit innere Stärke und seelische Stabilität zu entwickeln, die uns in Krisen sehr dienlich ist. 
Krisen im Leben können jedem von uns begegnen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn mir jemand die Vorfahrt nimmt und ich einen Unfall habe. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn sich eine Vorstellung vom Leben als nicht erfüllbar herausstellt und ich sie aufgebe. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn ich eine schwere Diagnose bekomme. Das kann jedem von uns passieren, weil wir Menschen sind.

Im Resilienztraining lernen wir nicht nur, wie wir mit Krisen besser umgehen können. Wir lernen, wie wir Krisen produktiv nutzen können. Wir lernen unsere Augen nicht zu verschließen, wenn es schwierig wird. Wir lernen uns selbst nicht zu verschließen und so schnell wie möglich eine Lösung zu finden, um durch die Krise hindurchzugehen. Nein, wir schauen genau hin und bemerken so, was in der Krise und den Momenten, in denen es schwierig ist, in uns passiert. Was genau ist es, was diese Situation für uns schwierig macht?
Aus diesem Betrachten und Erforschen entwickeln wir die Ressourcen, die wir dann für die nächste Krise nutzen können. Jede Krise beinhaltet damit eine Wachstumschance für unser Leben und für uns selbst. Mit jeder Krise, die wir bewusst (!) erleben, haben wir die Möglichkeit mehr Resilienz zu entwickeln. Mit jedem Winter, der mit seinem Grau unsere Stimmung trübt. Mit jedem Sommer, der mit seiner Hitze an unseren Nerven zerrt. Mit jeder Veränderung, die wir uns nicht gewünscht haben. Mit jeder Schwierigkeit, der wir im Leben begegnen.

Glück bekommt man nicht geschenkt. Glück wird uns niemand von außen geben. Glück entsteht, wenn wir den Weg immer weitergehen. Erling Kagge, der norwegische Autor, der als Erster in der Geschichte die „drei Pole“ (Nord- und Südpol und den Mount Everest) erreicht hat, führt dazu in seinem uneingeschränkt empfehlenswerten Buch „Gehen – weiter gehen. Eine Anleitung.“ die Formel des Wohlbefindens von Arne Naess ein. Danach entsteht Wohlbefinden aus dem Verhältnis von Glut und körperlichen sowie seelischen Schmerzen. In dieser Formel ist die Glut die zentrale Stellschraube. Glut kann man auch als Freude und Engagement beschreiben, mit der man einer Sache begegnet. Die Kernaussage der Formel lässt sich in etwa so zusammenfassen: Wenn ich für etwas brenne, mir etwas also sehr wichtig ist, dann kann das eine Menge Schmerzen aufwiegen. Wenn ich jedoch etwas mache, für das ich nicht brenne, mir also nicht wichtig ist, dann wird daraus auch kein Wohlbefinden entstehen. Interessanterweise gilt das selbst dann wenn die Unannehmlichkeiten nur sehr gering sind.
Glück entsteht also erst dann, wenn wir etwas leisten müssen. Wenn uns etwas in den Schoß fällt, erleben wir es als nicht so bedeutsam, als wenn wir etwas Mühe auf uns nehmen mussten, um unser Ziel zu erreichen. Glück entsteht also gerade nicht dann, wenn wir im warmen Nest der Gewohnheiten und wie in Watte gepackt leben. Glück entsteht mit der Anstrengung für etwas, das uns wichtig ist. Wenn wir dieser Formel des Wohlbefindens folgen, sollten wir also mehr Zeit in die Aktivitäten investieren, die bedeutsam für uns sind.

Als ich im Sommer 2016 einmal quer durch das Karwendelgebirge gelaufen bin, war ich sehr glücklich. Mit meinem Rucksack auf den Schultern bin ich von Hütte zu Hütte gewandert. Meine Muskeln waren erschöpft, ich hatte Blasen an den Füßen und meine Schultern waren manchmal ganz taub vor Schmerzen. Auf dem Weg gab es einige Momente, in denen ich mich gefragt habe, warum ich überhaupt diese Anstrengungen auf mich nehme. Aber es hat sich gelohnt. Der Weg durch die Anstrengung hindurch, hat mir dieses Glückserleben gebracht. Im Sommer 2019 werde ich an diese Erfahrung anknüpfen. Nach vielen Wanderungen auf dem 66-Seen-Weg um Berlin herum, werde ich mich in diesem Sommer aufmachen, um die Alpen einmal zu durchqueren. 

Berlin, 8. Februar 2019